VON ZOMIX BIS HONK
Ein Interview mit Johann „Hansi“ Kiefersauer von Hermann Stange, geführt 2006 für das ICOM-Jahrbuch 2007
Du bist aufgewachsen in den Fünfzigern, das war im Gegensatz zu heute keine sonderlich farbige Zeit. Was waren deine ersten Bildeindrücke?
Das waren vor allem zwei Comicstrips, die im MÜNCHNER MERKUR erschienen. Das eine war ein ziemlich abscheulich gezeichneter realistischer Comic, dessen Namen ich nicht mehr weiß – und PETZI, PELLE, PINGO. PETZI, PELLE, PINGO hat mich als Kind schwer beeindruckt! Dann habe ich noch Comics geschenkt oder geliehen bekommen, von zwei älteren Mädchen, die im selben Haus wohnten: MICKY MAUS und FIX UND FOXI. In der Schule habe ich sehr schnell SIGURD, AKIM und NICK in die Finger bekommen, die ganzen Wäscher-Comics. Aber begeistert haben mich damals neben Micky Maus und Donald Duck vor allem ROBINSON von Helmut Nickel und PRINZ EISENHERZ.
Du durftest das Zeugs lesen?
Ich durfte das lesen. Es war nicht besonders gerne gesehen, und ich durfte mir auch selten Comics kaufen. Aber ausleihen, das war OK. Es konnte höchstens passieren, dass ein paar Comics weggeworfen wurden, wenn das Nachtkästchen mal zu voll war, was natürlich zu großem Ärger führte. Aber verboten wurde es mir nie. Und ich hatte schon als Kind eine ganz tolle Quelle – durch einen Schulfreund, dessen Mutter da arbeitete, hatte ich Zugang zu einer amerikanischen Kaserne. Das heißt, ich hatte auch Zugang zu amerikanischen Comics.
Warst du derjenige in der Klasse, der die allerbesten Cowboys zeichnen konnte?
Wir waren zu zweit oder zu dritt, und wir haben uns gegenseitig angestachelt. Ja, ich gehörte zu den guten Zeichnern, aber gut war natürlich nicht, was die Lehrer gut fanden, sondern was den Mitschülern gefiel. Das waren dann tatsächlich Cowboys und Ritter und Muskelmänner à la Wäscher.
War Zeichnen für dich ein besonderes Vergnügen?
Das war ein Vergnügen unter anderen. Ich bin auch gern ins Kino gegangen – und ich war sehr viel draußen, am Fluss. Bei schönem Wetter war immer eine ganze Bande von Kindern unterwegs, das waren die schönen Seiten einer Kindheit auf dem Lande. Aber wenn ich für mich war, habe ich sehr viel und gerne gezeichnet, das hat mich von den anderen Kindern unterschieden. Ich bin ja in einer Familie aufgewachsen, in der es überhaupt keine klassische Bildungskultur gab. Aber ich durfte mir in der Pfarrbibliothek jede Woche zwei bis drei Bücher ausleihen – Defoes „Robinson“, „Die Schatzinsel“, „5 Freunde“ usw. Ich habe Bücher regelrecht gefressen, sogar Mädchenbücher wie „Hanni und Nanni“, wenn ich sie in die Finger gekriegt habe – und in den Kinder- und Jugendbüchern gab`s ja auch Illustrationen. Ein paar dieser Illustratoren haben mich sehr stark beeinflusst. Leider erinnere ich mich nur noch an ganz große Namen wie Walter Trier… und an eine Märchenbuchillustratorin, die mich sehr beeindruckt hat und über die ich später wieder gestolpert bin, weil meine Frau diese Märchenbücher in ihrem Bücherschrank hatte. Ich bin drauf gestoßen, als wir mal ausgemistet haben, und ich war völlig von den Socken, das wieder zu sehen – die Bilder von Ruth Koser-Michaels. (Illu von Ruth Koser-Michaels aus „Märchen der Brüder Grimm“)
Du hast eine dreijährige Dekorateurlehre gemacht. Das finde ich sehr interessant, weil ich schon immer mal wissen wollte: was lernt so ein Dekorateur denn eigentlich?
Alles und nichts. Die Dekorateurlehre habe ich gemacht, weil ich dachte, ich könnte da viel zeichnen.
Du wolltest damals schon beruflich zeichnen?
Also, ich ging auf die Oberrealschule, und als ich in die Pubertät kam, entwickelte ich mich zum absoluten Schulversager, weil ich nur noch zwei Sachen im Kopf hatte: Musik und Zeichen. Und Mädchen! Also immerhin drei Sachen. Ich musste von der Schule und da hieß es dann: Gut, erlernst du eben einen Beruf. Daraufhin bin ich zum Arbeitsamt und habe gesagt, ich möchte etwas machen, bei dem man zeichnen kann. Da gab es für jemanden ohne Schulabschluss ja nicht viel Auswahl. Ich habe dann in einem Stoffhaus in München gearbeitet, sprich: Meterware – da sollte ich lernen, wie man Schaufensterpuppen so mit Stoffen drapiert, dass es so ausschaut, als wären sie in tolle Abendgarderobe gekleidet. Die Lehrzeit war sehr nett, nicht, weil der Beruf so toll war, sondern weil ich einen prima Chef hatte und nette Kollegen, und ich habe ein bisschen gelernt mit Hammer und Nagel umzugehen. Aber handwerklich bin ich ansonsten nicht sonderlich begabt, und ich wusste sehr schnell, dass ich das nicht ewig weitermachen möchte. Ich habe dann auf dem zweiten Bildungsweg mein Abitur nachgemacht. Ich wollte in München auf die Akademie gehen und ein großer Künstler werden… Bin dann aber Comiczeichner geworden.
Das hättest du dir damals nicht vorstellen können?
Da wusste ich noch gar nicht, dass das ein Beruf sein könnte. Aber ich wollte zeichnen.
Und ich habe gezeichnet. Ich habe damals Musik gemacht in einer Schulband und für die Band die Plakate gemalt. Bereits mit Comicfiguren!
Das war um das Jahr 68. Schon vor 68 muss es in München doch gebrodelt haben…
Ich war 1968 neunzehn, aber von „68“ habe ich offen gestanden als Lehrling wenig mitbekommen. Das ging durch die Zeitungen, es wurde zwar darüber geredet, dass da in Schwabing die Studenten dieses und jenes gemacht hätten, aber das war mir alles weit weg. Zum Ostermarsch wollte ich mal, hauptsächlich weil dort Joan Baez spielen sollte, echt! War aber nur ein Gerücht.
Was war denn dein Weckruf?
Die Beatles. Als ich die Beatles zum ersten mal gehört hatte, war`s passiert. Ich war zu
Hause, wir hatten so ein altes Dampfradio in der Küche stehen, an dem hörte ich immer „Die 7 der Woche“, eine Schlagersendung. Da lief plötzlich ein Stück – und ich war wie elektrisiert. Die Alten sagten: mach das leiser. Und ich habe sofort an den großen Knopf gegriffen und das lauter gemacht, und damit war`s passiert. Das waren die Beatles. Zwischen Freddy Quinn und Wencke Myhre waren sie eine Revolution.
Aber dieses Erlebnis hat dich nicht augenblicklich auf die Straße nach Schwabing getrieben?
Nein, noch lange nicht. Ich war brav… Und auch später war ich immer eher Hippie als Revoluzzer. Love and Peace…
Hattest aber sicher knielange Haare?
Aber selbstverständlich. Ich habe ja auch in einer Band gespielt. Und natürlich hat mich diese 68er-Geschichte beeinflusst, wen denn nicht, ob in die eine oder andere Richtung. Aber ich selbst war nie so stark politisch. Mich hat das interessiert und beeinflusst, aber ich war nie so ein knüppelharter Politiker.
Du warst auch nie der zornige junge Mann?
Nicht unbedingt.
Wie bist du denn dann zum BLATT gekommen, der legendären Münchner Stadtzeitung?
Zu der Zeit habe ich einige Jahre lang professionell Musik gemacht, und dass ich beim BLATT gelandet bin, war ein glücklicher Zufall. Der Gerhard Seyfried ist damals nach Berlin gegangen, und dadurch ist die Stelle des Layouters frei geworden. Eine Frau aus meiner Wohngemeinschaft hat beim BLATT getippt, und die hat erzählt, dass sie nach jemandem suchen, der alle zwei Wochen mit layoutet. Das mach ich, habe ich mir gesagt, bin hingegangen – und schon war ich dabei.
Aber das war ja nun ein ziemlich politisches Blatt!
Linksradikal, würde man heute sagen.
War dir das eher egal?
Nein, das war mir nicht egal. Das hat mich angezogen. Das war ja auch ein Mischmasch aus Jugendkultur und Musik und Politik und so weiter.
Standest du da unter dem Zwang, politische Cartoons zu machen?
Nein, ich war da ganz frei. Ich war ja einer der Layouter – das war noch Papierklebelayout – und wer das Layout machte, der durfte auch für die Illustrationen sorgen. Das waren Illustrationen aller Art, Fotos, Schnippelbilder und eben auch selbst gezeichnete Bilder. Ich konnte also meine eigenen Bilder ins Heft reinkleben, was ich natürlich gleich gemacht habe. Beim ersten Mal, weiß ich noch, war`s nur eine einzige kleine Illu – aber ich bin am Tag des Erscheinens furchtbar aufgeregt nach München gefahren (ich wohnte 30 Kilometer außerhalb) und habe mir am Kiosk das BLATT gekauft, hab`s sofort durchgeblättert und meine erste gedruckte Zeichnung gesehen… Das war ein schönes Gefühl.
Bernd Boogie-Strip aus BLATT Stadtzeitunf für München
Seyfried und das BLATT… als Seyfried vom BLATT weg ging, war er doch schon fast so etwas wie ein Star.
Das BLATT, Stadtzeitung für München, wie es sich nannte, war ja die erste Stadtzeitung dieser Art. Danach schossen Stadtzeitungen wie Pilze aus dem Boden. Und all diese Publikationen haben das BLATT geplündert, was Zeichnungen von Seyfried angeht. Die haben Gerhards Cartoons überall reingeklebt, landauf, landab. Seine Zeichnungen waren ja auch wirklich sehr, sehr lustig – und sie hatten diesen extremen Zeitbezug, obwohl sie zum Teil auch zeitlos sind. Von daher war er damals schon sehr bekannt. Ein richtiger Renner wurde dann sein erstes Buch bei Rotbuch, eine Sammlung all dieser Zeichnungen. Das war wirklich ein toller Erfolg.
Kanntest du damals in München bereits andere Zeichner?
Ich kannte weder in München noch sontstwo Zeichner. Doch dann stand eines Tages im BLATT eine Anzeige – jemand suchte einen Zeichner für einen Strip in der MÜNCHNER ABENDZEITUNG. Zu der Zeit lief übrigens schon ein Strip von mir im BLATT (Bernd Boogie) – ich hatte mir als Layouter einfach Platz für meinen eigenen Strip geschaffen. Ich habe mich also auf die Anzeige beworben, zwar ohne Erfolg, aber derjenige, der das organisiert hatte, hatte eine nette Idee; er hat die eingereichten Arbeiten in seiner Wohnung aufgehängt und alle Zeichner zu einer Fete eingeladen. Auf dieser Party konnte ich Sachen von anderen Leuten sehen – zum Beispiel einen Comic von Rolf Boyke. Den fand ich sehr gut, und weil ich schon damals mit dem Gedanken spielte, ein kleines Comicheft zu produzieren, habe ich den Rolf angesprochen. Ob er nicht Lust hätte, mit mir zusammen so etwas zu machen. Das hat im Partygedränge der Gabriel Nemeth, der Tschap, mitgehört und Tschap hat sich, in seiner netten Art, gleich mit dazu gerechnet: Oh ja, da mach ich auch mit. Und sein Kumpel, der Philipp, hat sich ebenfalls noch angeschlossen. Da waren wir schon vier.
Daraus wurde ZOMIX. Zu der Zeit wurde ein Zeichner berühmt, der bei Vielen eingeschlagen hat wie vorher in der Musik nur die Beatles: Robert Crumb. Wann hast du ihn entdeckt?
Weiß ich noch, ich war mit meiner Freundin in München unterwegs – wir haben manchmal Shops abgeklappert, in denen man ausländische Zeitschriften kaufen konnte, und da gab es einen Laden, so eine kleine Bücherstube mit ausgefallenen Sachen. Und ich steh da – und plötzlich habe ich dieses Buch in der Hand. „Head Comics“ von Robert Crumb. Und irgendwie war ich ganz verwirrt, ich habe das erst gar nicht verstanden. Ich blättere und sehe plötzlich dieses Bild: Crumb, wie er seinen eigenen Pimmel in der Hand hält. Dass war mir erstmal ziehmlich peinlich, so dass ich das Buch gleich wieder zugeschlagen und mich umgesehen habe, ob irgendjemand guckt. Ich war völlig entgeistert. Nicht nur wegen der expliziten Sexualität, sondern auch wegen der Zeichnungen selbst. Also, diese Art von Comics hatte ich vorher noch nie gesehen. Ich war begeistert.
Hat das deinen Zeichenstil beeinflusst?
Na ja… Man hat sich auf einmal mehr getraut. Da gab`s ja noch viele andere Undergroundzeichner, und es waren auch welche dabei, die wirklich nicht zeichnen konnten, und da dachte man sich, das kann ich auch. Für mich war das so eine Initialzündung, wieder Comics zu zeichnen. Man hat gesehen, dass man mit Comics alles Mögliche machen kann. Ich habe sicher auch ein wenig kopiert, wie viele andere. Ich wollte nie genauso wie Crumb
zeichnen, aber ich habe doch das eine oder andere übernommen.
Diese Radikalität von Crumb – entsprach das deinem Lebensgefühl, oder hast du dir gesagt: das bin ich eigentlich nicht?
Das war mir ziemlich schnell klar, dass ich das nicht bin. Mir hat das imponiert, ich fand das spannend, ich habe auch versucht, das eine oder andere so ähnlich zu machen – aber ich habe sehr schnell festgestellt, das bin ich nicht .
Und darunter hast du nicht gelitten?
Nicht sehr. Mir haben ja auch immer die Donald Duck-Geschichten von Barks gut gefallen, mir hat Franquin immer gut gefallen,
Du saßt also schon immer zwischen allen Stühlen.
Ach, wenn das ein Zwiespalt war, dann war der nicht so groß. Natürlich wollte ich ein toller Typ sein, ich habe auch Sachen gemacht, die man unter Gruppendruck eben so mitmacht. Aber ich habe gleichzeitig meine eigenen Grenzen erkannt. Ich habe ein bisschen gekifft und einiges ausprobiert – und habe sehr schnell gemerkt, ich möchte das eigentlich gar nicht. Und ich habe mich dann gegen den Gruppendruck auch durchgesetzt – was andere Leute da gemacht haben, war mir egal. Und das wurde dann auch weitgehend akzeptiert. Und wer das nicht akzeptiert hat, mit dem hatte ich dann eben nicht viel zu tun. Wir hatten beim BLATT zum Beispiel mal so ein Selbsterfahrungswochenende. Fürchterliche Geschichte, diese Selbsterfahrungswochenenden, ein Scheiß. Also, wir hatten ein Selbsterfahrungswochenende. Oder besser: ein Kennenlernwochenende. Wir sind mit der kompletten Redaktion auf so ein Landgasthaus im Bayerischen gefahren, um uns auszutauschen und besser kennen zu lernen. Sonst kamen wir ja immer nur in der Produktionszeit zusammen, und ich war ja nicht angestellt beim BLATT, ich war also nur alle vierzehn Tage zwei Tage zum Layouten da. Wir saßen also im Kreis, und dann ging die Frage rum: „Warum arbeitest du beim BLATT?“ Da kam natürlich meist die Antwort: „Um politisch zu arbeiten.“ Als die Reihe an mir war, habe ich ziehmlich naiv gesagt: „Weil ich meine eigenen Comicbilder reinkleben kann.“ Da ist einer von den Politobermackern regelrecht explodiert! Der fand das `ne Frechheit. Zu meiner großen Freude hat aber dann ein anderer gesagt: Ist doch schön, ist doch besser, wenn er es lieber bei uns macht als bei Springer. Das fand ich dann ganz super, weil das ja tatsächlich stimmte – ich war ja wirklich lieber beim BLATT als bei irgend einer anderen Zeitung.
(Comic-Seite aus ZOMIX)
ZOMIX, das Undergroundmagazin. War dieser Titel eine Reminszenz an die Zeit, oder habt ihr das wirklich auch so grimmig gemeint ?
Ich glaub, wir haben das in unserer grenzenlosen Naivität schon so gemeint. ZOMIX – ich habe schon lang kein Heft mehr angesehen, aber ich glaube, das sind wirklich recht harmlose Comix gewesen, die wir da gemacht haben. Und doch haben wir uns in der Tradition der Undergroundcomics verstanden, schließlich haben wir vier Zeichner unser eigenes Geld zusammengekratzt und die Hefte ohne Verlag produziert und vertrieben. Das war für uns schon wichtig. So, wie viele Bands damals ihre Platten selbst produziert haben. Das war natürlich gleichzeitig auch sehr naiv, denn wir hatten ja von Geschäften und vom Vertrieb wenig Ahnung.
Wie habt ihr das geschafft ? Ihr habt es ja auf immerhin dreizehn Ausgaben gebracht.
Einerseits waren wir völlig unerfahren. Auf der anderen Seite hatten wir aber auch gute Möglichkeiten, weil es so etwas wie ein Undergroundheft von deutschen Zeichnern ja kaum gab. Das heisst, die Leute waren allein schon deshalb interessiert, weil es etwas Neues war. Es gab ausser ZOMIX, glaube ich, zu der Zeit nur noch HINZ UND KUNZ von Volker Reiche und Bernd Pfarr (und vielleicht auch schon VOLTFEDER?) – was wir aber noch gar nicht kannten. Ich kannte nur die MICKY MAUS, FIX UND FOXI, ZACK – all das Zeugs, das man am Kiosk kaufen konnte. Aber sonst …? Wir haben die Hefte also selbst gezeichnet und zusammengestellt, sind zu einem Drucker gegangen – so eine kleine Klitsche, die möglichst billig war – haben das dort drucken lassen. Danach haben wir Buchläden angeschrieben – ich durfte beim BLATT ja an die Adresslisten gehen, großer Vorteil! Der „Buchladen“ – das war damals auch eine Besonderheit. Das waren Läden, die sich politisch verstanden und nicht das normale Durchschnittssortiment führten, sondern neben den Büchern, die die jeweiligen Betreiber wichtig fanden, auch die ganze Stadtzeitungsliteratur, die ganzen Alternativblätter und all die kleinen Blättchen, denen man entnehmen konnte, wie, wo und was man in der Landkommune so anbaut. Die Buchläden hatten Interesse an unserem Heft – wahrscheinlich, weil das übers BLATT lief. Das war eine große Hilfe. Es gab dann keinen großen Verkaufserfolg, und selbstverständlich konnten wir nicht davon leben. Aber wir haben auch keine Miesen gemacht und konnten das Heft weiter produzieren, später ja auch mit Arbeiten von vielen Kollegen, die wir über die Arbeit am Heft erst kennen gelernt haben.
Du warst damals dreißig Jahre alt und hattest bis dahin alles Mögliche gemacht. Hattest du eine Vorstellung, wie es weitergehen sollte?
Nein. Ich war mit dreißig noch immer wie mit zwanzig. Ich habe von Tag zu Tag und von der Hand in den Mund gelebt. Ich dachte, das geht immer so weiter.
Hast du gedacht?
Ja. Ich habe das gedacht. Those were the days….
Es gab auch keine Notwendigkeit, sich Gedanken über Zukünftiges zu machen?
Aus meiner Sicht keine, nein. Ich bin mit wenig Geld ausgekommen. Ich habe in einer netten Wohngemeinschaft gelebt. Ich habe mit der Musik, mit der Band ein bisschen Geld
verdient und beim BLATT jedes zweite Wochenende das Layout mit gemacht, später dann noch ab und zu für den Volksverlag und für Carlsen gelettert, eine Reihe „Spirou“-Bände zum Beispiel, und das war`s. Ich hatte vielleicht vierhundert, fünfhundert Mark im Monat. Davon konnte man leben. So war damals die Zeit. Man hat sehr blauäugig vor sich hingelebt und gedacht, das ginge immer so weiter. Das Wirtschaftswunder war noch in Gang…
Aber es ging nicht so weiter. 1981 bist du nach Berlin verzogen. Warum?
Der endgültige Umzug kam, nachdem ich mich verliebt hatte.
Der Liebe wegen…
Der Liebe wegen.
Also keine Entscheidung im Sinne von: Aufbruch in die große Stadt, ins bewegte Berlin. Es war eine persönliche Entscheidung.
Es war eine persönliche Entscheidung. Detlef Surrey hat damals ebenfalls im BLATT veröffentlicht, er hat mich angeschrieben, hat mich auch einmal besucht und mich schließlich eingeladen, in Berlin am KOPF-HOCH-Kalender mitzuarbeiten. Zusammen mit Harald Juch, Fuchsi und Peter Petri. Den Kalender gab es dann ein paar Jahre, sieben Jahre, glaub ich, von daher war ich dann öfter in Berlin. Außerdem haben wir ab der Nummer 2 das ZOMIX in Berlin gedruckt, bei Oktoberdruck. Freunde von mir haben uns das dort zum Selbstkostenpreis gedruckt. Wir haben die Druckplatten selbst hergestellt, meistens der Rolf Boyke und ich, wir haben deshalb sogar eine Zeit lang in Berlin gewohnt. Aber ich hatte nicht unbedingt vor gehabt umzuziehen – doch dann habe ich meine jetzige Frau kennen gelernt.
Das war die Zeit der Hausbesetzerbewegung. War Berlin politischer als München?
Auf jeden Fall. Ich selbst war nach wie vor eher ein Beobachter, diese ganze Hausbesetzerbewegung ist an mir als Zuschauer vorbei gezogen. Freunde und Kollegen wie Detlef oder Harald haben damals in besetzten Häusern gewohnt, von daher war ich natürlich immer nahe dran. Die Leute waren sehr politisiert, auch die KOPF-HOCH-Zeichner haben sich als politische Zeichner begriffen. Das siehst du ja an den Arbeiten…..
Du hast aber erneut keinen Drang und Druck gefühlt, dich dem anzupassen.
Vielleicht habe ich mehr Druck oder mehr Aufforderung gespürt und auch mehr ausprobiert, aber mir ist aufgefallen: immer, wenn ich bewusst eine politische Zeichnung machen wollte, eine Karikatur – das wurde bei mir immer sehr, sehr platt. Und das fand ich doof. Es war einfach nicht meine Art zu arbeiten. Ich bin ja kein unpolitischer Mensch, ich interessiere mich für Vieles, ich beobachte die Dinge und diskutiere auch gern darüber und manchmal fließen ja auch Themen wie Atommüll oder Irakkrieg oder Gesundheitsreform in meine Bubi-Strips ein. Aber ich geh nicht her und sag, ich bin politischer Zeichner oder tagespolitischer Karikaturist . Bin ich einfach nicht.
Du hast in Berlin sehr bald deinen prominenten Vorgänger beim BLATT kennengelernt. Über gemeinsame Projekte?
Nein, ich glaube, ich habe den Seyfried einfach angerufen und gefragt, ob ich mal vorbei kommen könne. Das ging wirklich ganz einfach. Ich habe hier in Berlin überhaupt sehr schnell sehr viele Kollegen kennen gelernt. Die Szene war sehr offen. Man war immer willkommen. Und der Gerhard Seyfried hatte dann die Idee, zusammen mit ein paar Zeichnern ein Buch zu machen – die „Irrwitz-Comics“. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit.
Du hast dann die beiden Alben von Seyfried koloriert, „Das schwarze Imperium“ und „Flucht aus Berlin“. Es gab ja noch keinen Computer. Wie hast du gearbeitet – mit Tusche?
Hier Seite aus: Das schwarze Imperium
Mit Markerstiften, also mit Filzstiften. Das war Gerhards Arbeitsweise. Ich selbst habe meine eigenen Arbeiten mit Eiweißlasurfarben koloriert. Aber der Gerhard hat mit Markerstiften gearbeitet und wollte natürlich gerne, dass das weiter so gemacht wird. Ja, ich habe die Bücher koloriert, aber natürlich unter Anleitung von Gerhard.
Und wie ging das vonstatten?
Indem wir Tag für Tag Zeichentisch an Zeichentisch gesessen haben. Er hat die Schwarz-Weiß-Reinzeichnungen gemacht, dann wurde am Leuchttisch ein Layoutblatt über das Original gelegt – also ein Papier, auf dem man mit Markern arbeiten kann, ohne dass die Farbe durchschlägt oder ausblutet. Da sitzt man dann den ganzen Tag am Leuchttisch und zieht mit Markern die Farbflächen ein. Das hat sich mit dem Computer Gott sei Dank doch überholt … Es war ein ziemlich diffiziles Arbeiten. Mit manchen Farben bekam man sehr schöne glatte Flächen, mit anderen gar nicht. Da sieht man dann die Schraffur und es wirkt verfleckt. Der Gerhard hatte auch sehr genaue Vorstellungen, und zum Teil sind sehr schöne Farbkompositionen dabei herausgekommen.
Die er dir vorgegeben hat?
Nicht immer, aber bei vielen Sachen schon. Ich schätze, das war wie Regisseur und Kameramann. Der Regisseur sagt zu seinem Kameramann, ich stell mir das so und so vor, und dann muss der halt sehen, dass er das hinkriegt.
Es ist nicht immer ganz einfach, wenn zwei kreative Menschen zusammenarbeiten – du hast dich ja unterordnen müssen. Hast du damit keine Schwierigkeiten gehabt?
Überhaupt keine. Ich denke, dass bei einem Arbeitsprozess, an dem mehrere beteiligt sind, einer das Sagen haben sollte. Man kann diskutieren, aber im Endeffekt sollte der, um dessen Arbeit es geht, wissen, was er will. Und der Mitarbeiter versucht dann seinen Part auszufüllen. Ich arbeite ja auch mit Textern, zum Beispiel sehr gerne mit Ralph Ruthe. Der Ralph ist ja ein eigenständiger Comiczeichner, der macht seine eigenen Bücher, seine eigenen Comics – aber wenn der Ralph mir Texte liefert für den „Blaubär“, dann erlaubt er mir damit umzugehen wie ich es brauche. Ich kann die Texte so nehmen, wie sie sind, ich kann die Texte bzw. die Idee aber auch auseinanderpflücken und ganz anders wieder zusammenbauen. Und das finde ich gut. Es wäre einfach ein Krampf, wenn wir beide uns dauernd darüber streiten würden, wie der Comic im Detail aussehen soll. Und umgekehrt ist es genau so; wenn ich für jemanden arbeite, habe ich keine Probleme damit, genau das zu tun, was derjenige möchte.
Eine seltene Einstellung, wir mir scheint. Wie kommt es übrigens, dass so viele Zeichner glauben, sie müssten beides können: Texten und Zeichnen. Obwohl es sich um zwei völlig verschiedene Vorgänge handelt.
Vielleicht ist das immer noch diese unselige Vorstellung, alles selber machen zu müssen. Unselig – das ist ein etwas zu starkes Wort. Aber wir dachten ja damals auch, wir müssten mit unserer Band eine Platte selbst aufnehmen, müssten selbst produzieren und dabei eben auch alle Fehler machen, die man nur machen kann.
Es gibt Zeichner, die beides phantastisch können, die wunderbare Geschichtenerzähler sind. Bei Ralph König und Walter Moers, bei TOM, da passen Wort und Bild zusammen, wie sie gar nicht besser zusammen passen könnten. Aber manche sollten sich lieber auf das konzentrieren, was wirklich ihr Talent ist und das Andere Anderen überlassen.
Wie ist das bei „Bubi“, den du seit etwa 16 Jahren für die WAZ zeichnest? Machst du da deine Gags selber?
Inzwischen wieder. Ich habe „Bubi“ die ersten Jahre allein gemacht, und dann hat einige Jahre lang der Ralph Ruthe die Gags geschrieben. Zu der Zeit hatte ich sehr viel zusätzliche Arbeit bekommen und nicht mehr die Kraft, auch noch den „Bubi“ komplett selber zu machen. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, den Strip wieder selbst zu schreiben. Das macht mir auch Spaß. Wenn ich Zeit habe, wenn mir was einfällt, schreibe ich auch gern Geschichten. Aber genau so gern arbeite ich mit den Texten von Anderen.
Aber Bubi ist ja eine spezielle Figur – du musst darauf vertrauen, dass jemand Anderer den versteht.
Ja. Da hat der Ralph kongenial gearbeitet. Der ist da sehr gut. Außerdem sind Ralphs Gags meistens lustiger als meine und seine Sachen kommen recht schnell auf den Punkt. Meine Sachen sind verhaltener. Ich mach ja manchmal Comics oder Einzelbilder, in denen kaum mehr ein Gag drin ist. Ich mach das trotzdem und denke mir, das mag nicht jedem gefallen, aber mir gefällt`s, also mach ich es. Siehst du, und schon könnte mancher sich fragen: Muss der denn unbedingt alles selber machen?
Glaubst du, man kann merken, was ein Gag von Kiefersauer ist, und was nicht?
Nicht immer natürlich, aber bestimmte „Bubis“ können nur von mir sein, und andere können nur von Ralphi sein.
Also: „Hey, hey, hey, I was born a rebel“ ist ein Kiefersauer. Stimmts?
Richtig. Außerdem ist es ein Songtitel von Tom Petty.
Einer meiner Lieblings-Cartoons.
Das freut mich zu hören, aber das ist natürlich kein Wahnsinnsgag. Eher eine stille Zeichnung. Mit einem gewissen Humor zwar, aber sicher nichts, worüber man sich scheckig lachen kann.
Eins muss man sagen: als Herausgeber warst du ziemlich hartnäckig. Es kamen dann ja noch RAD AB!, MIXED PICKLES …
MIXED PICKLES für Semmel. Ja, ich hatte neben dem Zeichnen schon immer ein Faible für den Produktionsprozess. Nicht, um die totale Kontrolle zu behalten, sondern weil mir der ganze Arbeitsvorgang vom Zeichnen zum fertigen Buch großen Spaß macht. Ich habe auch sehr gerne unsere Titelbilder auf die alte amerikanische Art koloriert, obwohl das bei uns unüblich war. Also mit Rasterfolien. Ich habe mir das von einem Drucker zeigen lassen. Und genau so gern mochte ich eben diese Zusammenarbeit – bei ZOMIX die Redaktion: Man trifft sich, quatscht miteinander, stellt das Blatt zusammen. Das hat sich bei RAD AB! noch mal wiederholt. Bei MIXED PICKLES hatte ich dann einfach die Idee, Comics, die mir persönlich gefallen, zusammenzustellen und herauszugeben, das Ganze noch mit einer von mir gezeichneten Rahmenhandlung versehen. Diese Idee habe ich dem Semmel-Verlach angetragen und der hat es gemacht. Leider ist diese Querreihe von Semmel aber nie gut gelaufen, ich weiß nicht warum… Bei MIXED PICKLES waren ja doch ein paar nette Sachen von Kollegen wie Peter Bagge, Gilbert Shelton, Walter Moers u.a. dabei.
Da kommen wir gleich zu einem wahrlich bitteren Kapitel: das Schicksal von „Dr. Bubi Livingston“. Eine Sammlung der schönsten Bubis, ein wunderschöner Band bei Jochen Enterprises – aber als das Buch fertig war, war auch der Verlag fertig.
Das fertige Buch wurde mir von Dirk Baranek, einem der Verleger, höchstpersönlich ins Haus geliefert. Er drückte mir einen Stapel Belegexemplare in die Hand und sagte: „Übrigens, Jochen macht zu!“ Da war ich natürlich ziemlich erledigt. Das waren die besten Strips der ersten vier, fünf Jahre, das heisst, ich hatte einen großen Teil des „Bubi“-Materials erst einmal verbraten. Und dann natürlich die Arbeit, die man reingesteckt hat – das war ja alles neu koloriert. Das war ziemlich niederschmetternd.
Das Buch hat den Handel also nie erreicht?
Nicht wirklich. Jochen hat ja nicht ganz dicht gemacht, die haben die Sachen wohl ein bisschen weiter verkauft, aber es wurde keine Werbung mehr dafür gemacht. Die Bücher lagen halt irgendwo herum.
Bubi – bist du das?
Ach, nein. Natürlich fließen da Sachen ein, die ich erlebe, aber deshalb ist es nicht gleich autobiografisch. Obwohl – eine gewisse autobiografische Bewandtnis hat es mit dem Bubi schon. Der erste Bubi erschien in der KOWALSKI. Da hieß er aber noch nicht so. Ich hatte einen Artikel über Esoterik illustriert und dafür einen Typen mit Sandalen und Pferdeschwanz gezeichnet. Und als ich die Illustrationen fertig hatte, dachte ich – ist ja lustig, der sieht ein bisschen aus wie ich selbst. Dann habe ich diese Figur eine ganze Weile benutzt, um tagebuchartige Skizzen zu machen. Ohne Pferdeschwanz, aber mit Sandalen. Zu der Zeit bin ich morgens ins Studio gegangen und habe jeden Tag als erstes ein, zwei lockere, skizzenhafte Seiten mit der Figur gezeichnet, als Fingerübung. Sachen, die mir passiert sind, zum Beispiel auf der Straße – aber wenn möglich mit einem kleinen Dreh dabei, mit einem Gag, nicht real Eins zu Eins. Irgendwann fand ich, ach Mensch, die Sachen sind nett, da könnte man doch ein Buch draus machen, und ich habe es dem Volksverlag angeboten. Die haben dann das erste „Bubi“- Buch herausgebracht. Deshalb könnte man natürlich sagen, Bubi hat etwas autobiografisches. Aber das geht nicht allzu weit.
Deine Gattin ist zu erkennen, manchmal.
Die Leute sagen das. Na gut: der eine ist ein Typ mit einem karierten Hemd, die andere ist eine dunkelhaarige Frau. So weit stimmt`s.
Der Käpt`n Blaubär – das ist ja nicht dein Wesen. Hast du dir den inzwischen zu eigen gemacht, hast du das Gefühl, der ist deins?
Jein. Es ist tatsächlich so, daß dir diese Figur am Anfang völlig fremd ist. Du kämpfst damit, sie einigermaßen richtig darzustellen, erst einmal rein technisch in den Griff zu bekommen, und erst später dann auch anzunehmen. Der Original-Blaubär ist ja von Walter Moers und etwas ganz Eigenes. Damit muss ich ja Gott sei Dank nicht konkurrieren. Ich mache einen wöchentlichen Comic für Tageszeitungen und Zeitschriften mit der Figur – beziehungsweise wir, weil ja mehrere Leute beteiligt sind – außerdem längere Comicgeschichten für das „KÄPT`N BLAUBÄR-LÜGENMAGAZIN“ von Panini. Die werden ganz anders konstruiert als das „SEEMANNSGARN“ im Fernsehen, denn in dem geht’s ja in der Regel darum, dass der Käpt`n den Kindern Lügengeschichten erzählt, deren Phantasieteile dann als Legetrick erscheinen. Im Blaubärmagazin erleben Blaubär und Hein eigenständige Abenteuer. Und bei den Tageszeitungscomics kommt es darauf an, kurze Gags zu liefern. Und diesen Blaubären kann ich sehr wohl als meinen Blaubären annehmen. Als der Walter uns – also den alten HONK Studios – damals angeboten hat, die Wochenfolgen zu erstellen, war ich natürlich begeistert, denn ich mag Walters Arbeiten sehr. Blaubär und Hein sind tolle Figuren, mit denen kann man sehr viel anstellen. Es ist eine Freude, das zu machen.
Vielleicht war auch hilfreich, dass du das Maritime schätzt?
Ja, das spielt vielleicht eine Rolle. Bayern neigen ja angeblich zum Meer.
Die Bayern sind eine grosse Seefahrernation.
Genau.
Seite aus KÄPT’N BLAUBÄR LÜGENMAGAZIN 4/06 (© 2006 Panini/WDR mediagroup) Vorzeichnung und gedruckte Version
Ich hatte ja das Vergnügen, zwei Bücher mit dir als Illustrator zu machen. Hat es dich gereizt, zu illustrieren? Illustrationen sind ja etwas anderes als Comics oder Strips.
Hat mich sehr gereizt. Ich hatte natürlich auch vorher schon viel Illustrationsarbeit
gemacht, aber in der Regel keine freien sondern Auftragsarbeiten. Von daher bin ich immer froh, einmal genügend Platz für großzügige Illustrationen zu haben. Das ist wirklich eine ganz andere Arbeit. Comics zeichnen ist Knochenarbeit. Die gleichen Figuren wieder und wieder und wieder und das über viele Seiten. Die Illustrationsarbeit in den Büchern, die wir zusammen gemacht haben, also in Kinderbüchern, ist fast wie Malen. Malen heisst für mich, sehr ungezwungen arbeiten zu können. Frei im Sinne von: ich muss mich an keine Vorgaben halten, ich kann wirklich machen, was ich will. Ich kann die Farben nehmen, die ich möchte, und ob daraus Kreise, Vierecke oder Oktogone entstehen, spielt überhaupt keine Rolle. Natürlich halte ich mich bei Buchillustrationen an den Text, aber ich kann mir eine Szene aussuchen, und vier Seiten später kommt eine neue Szene, die mit der ersten nichts mehr zu tun hat. Das heisst, ich bin nicht sklavisch an eine Struktur gebunden, die sich unablässig wiederholt.
Es waren nur zwei Bände, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es dabei eine Entwicklung
gab – du wurdest wirklich immer freier, hast Dinge eingeführt, die im Text gar nicht drin waren, die aber das Buch belebt haben.
Ich finde es immer sehr spannend, die Arbeiten von Illustratoren zu sehen, die den Text nicht bloß illustrieren, also alles genau wiedergeben, was im Text steht. Das braucht`s ja nicht. Dafür hast du ja den Text. Spannend finde ich es, wenn in die Zeichnungen zusätzlich etwas hineingearbeitet ist. Vielleicht habe ich das probiert, eher unbewusst.
Ich glaube, der Unterschied von Buch eins zu Buch zwei kommt einem so stark vor, weil der erste Band, „Der Klabautermann“, vom Sujet her noch so viel mit dem Sujet von Käpt`n Blaubär zu tun hat, die alten Schiffe, das Meer usw.
Illustration aus: Abdul und die Geister aus der Lampe von Hermann Stange (Annette Betz-Verlag 2004)
Was ich an dir wirklich bewundere: Du bist ein ausgesprochen disziplinierter Arbeiter.
Relativ diszipliniert, ja. Ich versuche, gegen zehn Uhr im Studio zu sein – jeder Maurer lacht natürlich, wenn er hört, zehn Uhr… Ich versuche also um zehn am Arbeitstisch zu
sein, und dann sitze ich da fast jeden Tag bis 19 Uhr. Sechs Tage die Woche, in der Regel,
manchmal sieben. Zwei Tage frei, das ist eher eine Seltenheit. Klingt fürchterlich, ist es aber nicht.
Und entspricht auch deinem Rhythmus?
Ich wär sogar lieber um acht oder neun hier. Das schaffe ich fast nie, weil ich abends zu lange auf bleibe und nicht ins Bett komme. Aber ich bin ein Tagarbeiter. Das habe ich als Musiker immer gehasst: diese elende Nachtarbeit. In den Discos oder Clubs spielen, danach Instrumente und Anlage abbauen und nach Hause fahren, um fünf Uhr morgens zu Hause noch was essen und dann erst mal pennen bis in die Puppen. Schrecklich!
Die HONK Studios – war das so ein Versuch, aus der Vereinzelung des Künstlers heraus zu kommen?
Ja. Wobei das nicht von mir ausging. Der Comicladen GROBER UNFUG ist damals umgezogen und hatte im Hinterhof einige zusätzliche Räume angemietet, die er nicht brauchte. Und der Bert Henning, der ja auch eine Zeit lang Comics gezeichnet, sich aber später ganz auf den Laden bzw. auf Ausstellungsarbeit konzentriert hat, der hat den Peter Petri und mich gefragt, ob wir nicht Lust hätten, mit ihm dort ein Studio aufzumachen, also die Arbeitsräume vom Comicladen zu mieten. Zehn Jahre waren wir insgesamt in der Zossener Straße. Das war toll… Weil es diese Situation aufgebrochen hat, ganz allein in deinem Kämmerchen zu sitzen. Es war gut, irgendwo hingehen zu können, wo Kollegen sind, mit denen man quatschen kann, Kaffe trinken kann, die Arbeiten herzeigen kann, über die Arbeiten reden kann… Irgendwann ist das aber auseinandergegangen, und ich bin vor jetzt schon wieder bald acht Jahren in die neuen Studios umgezogen, zusammen mit dem Detlef Surrey. Im Moment sind wir hier vier Leute, die alle als Illustratoren arbeiten.
HONK – was heisst das?
Ich weiß nicht mehr, wem es einfiel. Wir hatten alle möglichen Namen ausprobiert und irgendwann kam der Vorschlag: HONK! Wir fanden das vom Klang her lustig. Ich wusste gar nicht, daß das außer Hup!, Piep oder Tröt! noch etwas bedeutet, aber vor ein paar Jahren habe ich mal einen Leserbrief bekommen, in dem ich gefragt wurde, warum wir uns denn ausgerechnet HONK nennen würden; HONK sei doch eine Abkürzung, die unter Lehrern bedeute: Hilfsschüler ohne nennenswerte Kenntnisse.